Show/Gud Font-Sizes

Die Menschen hinter Kiubo II: Interview mit Claudia Nutz

Graz/Wien, 7. Dezember 2023.

Das gesamte Interview zum Pressetext „Die Menschen hinter Kiubo II: Claudia Nutz“.

Claudia Nutz ist selbstständige Unternehmensberaterin, spezialisiert auf Entwicklung von großen Liegenschaften bzw. Quartieren, seit Beginn strategische Begleiterin bei Kiubo.

 

Kiubo: Welche Rolle spielt der Wohnbau im Prozess der nachhaltigen Quartiersentwicklungsplanung? Wie beeinflusst der Wohnbau diesen Prozess?

Nutz: Der Anspruch für ein Quartier muss es sein, einen attraktiven Lebensraum zu schaffen. Zum Leben gehört Wohnen als elementare Funktion dazu. Wohnen ist ein Grundrecht und hat daher oberste Priorität. Aus der Perspektive des Quartiers sind aber auch die Rahmenbedingungen optimal zu gestalten, das betrifft die Frage der Mobilität. Hier geht es um Fragen, wie erreiche ich meinen Wohnraum, die Lage im Stadtgebiet, der Anschluss an den öffentlichen Verkehr, Fußgängerfreundlichkeit oder Grün- und Freiräume, welchen Erholungsraum habe ich wohnungsnah, wie und wo kann ich meine Freizeit verbringen, welche Oasen im Sinne der sommerlichen Überhitzung habe ich in der Nähe, etc. Der Wohnbau ist daher ein zentrales und bestimmendes Element.

Kiubo: Im Kontext der städtischen Entwicklung und des Wohnungsbaus: Was bedeuten die Begriffe „Flexibilität & Anpassungsfähigkeit“ und wie wichtig sind diese?

Nutz: Wir haben mit der Industrialisierung, Kapitalisierung und fortschreitenden Arbeitsteilung in der Immobilienwirtschaft aufgehört Häuser zu bauen. Produziert haben wir auf einen Zweck optimierte „Maschinen“. Dabei haben wir aber vergessen, dass eine Immobilie kein klassisches Konsumgut ist, welches ich morgen wieder entfernen kann und welches nicht massive Auswirkung auf unsere Umwelt hat. Ich würde es so formulieren: Je langlebiger eine Struktur sein soll, desto neutraler bzw. zeitloser muss sie in ihrer Ausformulierung sein. Im Gegenzug gilt – je kurzlebiger, desto angepasster muss sie an aktuelle gesellschaftliche Notwendigkeiten sein. Es geht also nicht darum alles immer sofort verändern zu können, aber es geht darum die „massiven“ Teile (Materialebene, Dimension, Infrastrukturen, etc.)  langlebig zu gestalten und im kleineren Maßstab anpassungsfähig zu sein.

Kiubo: Quartiersentwicklung und Produktentwicklung haben langfristige Auswirkungen auf die Lebensqualität. Welche Komponenten tragen dazu bei, ein lebendiges, inklusives und nachhaltiges städtisches Umfeld zu schaffen? Gilt das für jede Stadt, in jedem Land?

Nutz: Ich bin kürzlich im Rahmen einer Masterthese gefragt worden, ob es Unterschiede zwischen der Quartiersentwicklung am Land und in der Stadt gibt. Meine These war und ist, dass die Quartiersentwicklung sich ja an den Bedürfnissen orientiert – und wenn sie das tut, dann kommt man zu dem Schluss, dass Stadt- und Landmenschen nicht so unterschiedlich sind. Daher behaupte ich Nein, denn im Anspruch der Quartiersentwicklung (kurze Wege, gute Versorgung, nachhaltige Mobilität, leistbarer Wohnraum, gute Beschäftigungsverhältnisse, klimafittes Verhalten) gibt es keinen Unterschied zwischen Stadt und Land. In der Ausprägung der Angebote gibt es Unterschiede. Das klassische Beispiel ist immer die umweltfreundliche Mobilität. Diese kann in zentralen und stark frequentierten Räumen anders organisiert werden.

Aber im Grunde hängt die erlebte Lebensqualität maßgeblich von unseren sozialen Beziehungen ab. Quantität und Qualität sind dabei gesondert zu betrachten. Es liegt an, uns Stadtplanern, unterschiedliche Strukturen und Treffpunkte zu schaffen. Es braucht Bühnen, um sich zu zeigen, es braucht Türen, durch die wir uns miteinander verbinden können, es braucht Fenster, wo wir uns nur passiv am Geschehen involvieren und einfach nur zusehen können und es braucht natürlich Räume, die wir für uns haben. Das gilt es auf Quartiers- als auch auf Objektebene schaffen – mit räumlichen, sozialen und digitalen Angeboten.

Kiubo: Der Städtebau steht vor großen Herausforderungen. Viele Flächen sind bereits versiegelt, die Organisation des Zusammenlebens wird zunehmend komplexer und die Menschen in ihren Wohn- und Arbeitsbiographien flexibler. Wie können diese Herausforderungen überwunden werden?

Nutz: Für den Städtebau ist das gar nicht so schwierig. Denn guter Städtebau orientiert sich nicht zu 100 Prozent an aktuellen gesellschaftlichen Anforderungen, sondern ist sich bewusst, Strukturen schaffen zu müssen, die weit über zwei bis drei Generationen hinaus gehen. In diesem Zusammenhang ist aber zu erwähnen, dass der Umbau unserer Städte zu mehr Klimafitness eine große Herausforderung ist. Die Herausforderung liegt aber nicht in der gestalterischen Komplexität, sondern in den rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Gerade in der Bestandsstadt haben wir mit unterschiedlichen Eigentümern und deren divergierenden rechtlichen und ökonomischen Vorstellungen eine enorme prozessuale Komplexität zu bewältigen. Dafür braucht es neue Managementstrukturen mit guten Durchhaltevermögen.

Kiubo: Kann ein einzelnes Wohnhaus allein Auswirkungen auf den Stadtteil und das umliegende Quartier haben? Warum ist es so wichtig, die Stadtplanung in den Entwicklungsprozess von Wohngebäuden einzubeziehen?

Nutz: Mir ist es immer wichtig, ein Bewusstsein zu schaffen, dass der Bau einer Stadt eine gemeinsame und gesellschaftliche Aufgabe ist. Das ist weder alleinige Aufgabe der öffentlichen Hand, noch kann ein Entwickler einer Immobilie verneinen, dass seine gebaute Realität nicht einen Beitrag zum Gesamtbild leistet. Darüber hinaus gibt es Themen, die ich regional bzw. im Quartier besser löse. Das kann die Objektebene auch entlasten. Wieder ein Beispiel aus der Mobilität: Es ist unglaublich schwierig, Mobilitätsangebote hausbezogen wirtschaftlich zu führen. Im größeren Kontext, baufeldübergreifend, mit erweitertem Kundenstamm sieht das schon anders aus.

Kiubo: Welche Eigenschaften müssen neue urbane Konzepte aufweisen, um in Zukunft plausibel zu sein? 

Nutz: Um in Zukunft plausibel zu sein, sollten neue urbane Konzepte herausragende Eigenschaften, wie Nutzungsoffenheit, Kreislauffähigkeit und Klimafitness verkörpern. Erstens ist Nutzungsoffenheit entscheidend, um den sich ständig wandelnden Bedürfnissen der Bevölkerung gerecht zu werden. Flexibilität in der Nutzung von urbanen Räumen ermöglicht eine vielfältige und effiziente Nutzung.

 Zweitens ist die Kreislauffähigkeit von großer Bedeutung, um eine nachhaltige Ressourcennutzung zu gewährleisten. Urbane Konzepte sollten darauf abzielen, Abfälle zu minimieren, Ressourcen zu recyceln und einen geschlossenen Kreislauf zu fördern. Dadurch kann die Umweltbelastung reduziert und eine langfristige ökologische Nachhaltigkeit gewährleistet werden.

Drittens ist Klimafitness unerlässlich, um den Auswirkungen des Klimawandels standzuhalten. Städte müssen widerstandsfähig gegenüber extremen Wetterbedingungen sein und gleichzeitig Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels unterstützen. Die Integration von grüner Infrastruktur, erneuerbaren Energien und nachhaltigen Mobilitätslösungen trägt dazu bei, Städte widerstandsfähiger und ökologisch verträglicher zu machen. Insgesamt sind diese Aspekte entscheidend, um innovative urbane Konzepte zu schaffen, die den Herausforderungen der Zukunft gerecht zu werden.

Kiubo: Verfügt Kiubo über diese Eigenschaften oder anders gefragt: Ist Kiubo die Lösung für den Städtebau der Zukunft?

Nutz: Hier möchte ich ein paar Dinge hervorheben, die mir besonders gut an Kiubo gefallen. Erstens die Trennung von langfristigen Strukturen, der Terminal, und mittelfristigen Elementen, den einzuschiebenden Modulen. Damit zielt Kiubo perfekt auf das bereits erwähnte Wechselspiel von Langlebigkeit für zukünftige Herausforderungen und kurzfristige Anpassbarkeit ab.

Zweitens die hervorragende Eignung des Systems für die Kreislaufwirtschaft. Ein stabiler, aber trotzdem abbaubarer Terminal, mehrfach verwendbare Module, die sich aufgrund ihrer Modularität bestens für den Einsatz unterschiedlicher Materialen (insbesondere auch Recycling) eignen.

Und drittens die völlig flexible Kombinierbarkeit von Miete und Kauf der Module. Das ist meiner Meinung nach ein wichtiger Beitrag zur Leistbarkeit von Wohnraum in unterschiedlichen Lebensphasen.

Kiubo: Was waren die Problemstellungen bzw. Herausforderungen bei der Entwicklung von Kiubo aus Sicht der Stadtplanung bzw. Quartiersentwicklung?

Da gibt es einige, aber eine maßgebliche ist sicherlich das Zusammenspiel von Kiubo und den Bestimmungen von Flächenwidmungs- und Bebauungsplänen. Kiubo möchte ein Haus sein, kein Wohnobjekt, kein Gewerbeobjekt, sondern einfach ein Haus, das unterschiedliche Nutzungen zulässt. Unsere Widmungskategorien sind aber in vielen Fällen immer noch sehr dezidiert und fördern monofunktionale Nutzungen. Darüber hinaus sind immer noch viel zu viele Bebauungspläne so gestrickt, dass Projektwerber durch die Ausgestaltung größerer Raumhöhen ganze Geschosse verlieren. Festlegungen, die auf eine maximale Gebäudehöhe mit einer darin unterzubringenden Bruttogeschoßfläche abzielen und dabei gleichzeitig Spielraum für großzügige Geschoßhöhen geben, sind dafür eine wichtige Rahmenbedingung.

Kiubo: Bitte um Ergänzung des Zitats „Kiubo ist für mich …“

Nutz: Mutig ….weil es anders sein will, einen aktiven Beitrag zu den Herausforderungen unserer Zeit leisten möchte und dabei gut ausgetretene Pfade verlässt.

Kiubo: Was sind die Wünsche für Kiubo und die Zukunft?

Nutz: Mutig, hartnäckig, aber auch geduldig sein.

 

Kiubo: Danke für das Gespräch.  

 

Pressebilder

Claudia Nutz bei der Kiubo 1 Jahr-Feier

Claudia Nutz bei der Kiubo 1 Jahr-Feier (c) Alex Koch
Download (361 KB)